Angekommen in London
Gestern bin ich also um fünf Uhr aufgestanden, bei ordentlich Regen draußen. Rebecca hat sich mit aus dem Bett gequält, um mich später zum Flughafen zu begleiten. So lieb ist sie, so lieb’ ich sie.
In der Nacht vorher war ich lange mit Räumerei in meinem Zimmer—welches ich jetzt glücklicherweise an einen alten Freund und Kommilitonen untervermiete, den es nicht so arg stört wenn noch ein bisschen von meinem Ramsch dort verstaut ist—und dem Packen meines Koffers beschäftigt, sodass am Ende nur knappe vier Stunden Schlaf übrig geblieben sind; die obendrein äußerst unruhig waren, weil ich im Traum permanent über meinen Habseligkeiten geschwebt bin und mich etwa alle drei Sekunden gefragt habe, was ich gerade vergesse mitzunehmen.
Verabschiedung am Flughafen, zwar ohne Tränen und so, aber mit nochmals gehörigem nicht loslassen können auf beiden Seiten auf dem letzten Meter vor der Sicherheitsschleuse. In zweieinhalb Wochen kommt sie zwar schon zu Besuch, aber wir fehlen uns tatsächlich ziemlich schnell ziemlich dolle.
Dicke Suppe über Dresden, insofern wird es bis Stuttgart nicht besonders spannend. Dort muss ich dann irgendwie drei Stunden vergammeln bis der Anschlussflug geht, was ohne Buch oder Internet gar nicht leicht ist. Schließlich wieder in der Luft, es kommt auch die Sonne raus, mit vielen kleinen Wölkchen über dem Kanal. Lange nur Landschaft vor dem Fenster, dann dreht der Flieger und plötzlich ist Canary Wharf auf meiner, der falschen Seite. Wir sind etwas zu früh oder es ist viel Verkehr, Hauptsache Warteschleifen. Ich mag fast in die Hände klatschen, so war das geplant! Sitz 7F belohnt mich dann auch mit einer gefühlten 30°-Kurve und bombastischer Aussicht über die Innenstadt, die Shard kann ich fast anfassen, Central Saint-Giles—da wo unter anderem ein Teil von Google seit einiger Zeit sitzt—ist ein bunter Klecks mitten im restlichen hellgrau, vertraute Orte springen einem ins Auge … mir kommen fast ein bisschen die Tränen. Pro-Tipp: der Anflug aus dem Osten nach Heathrow wird nie alt, wenn man auf der rechten Seite sitzt.
An der UK Border denke ich kurz, ich bin mal schlau, allerdings kommt dann die normale Schlange durchgehend zügiger voran (jedenfalls was unseren Flug betrifft, danach kommt noch eine Traube Menschen) als die vom ePass, in der ich stehe. Diese brilliante Super-Duper-Anti-Terror-Hurra-Technik funktioniert eben immer noch sterbenslangsam, wenigstens wird meine Visage diesmal akzeptiert.
Als ich schließlich in der Piccadilly-Line sitze, überkommt mich nochmal ein Gefühl von Vertrautheit, die Geräusche, Gerüche, alles schreit zweite Heimat. Dann von London Victoria aus wieder weiter in den Vorort, nach Thornton Heath, wo ich jetzt die nächsten fünf Monate wohnen werde. Auch die Strecke kenne ich schon.
Das Haus liegt in einer schön ruhigen Straße. Als ich das Gartentor aufmache, raschelt es hinter der Tür, meine Vermieterin und Mitbewohnerin wollte gerade los und nach mir schauen, aber ich habe ja einen Zug eher bekommen. Wir verstehen uns auf Anhieb, auch als sie beim Rundgang durch die Zimmer in der Küche meint, you know how it is with Googlers, we don’t have -anything- to eat in the house …
Ich stelle meine Sachen ab und düse dann auch gleich schon wieder los, zu Michał auf die Arbeit, für Bier und Pizza, schließlich habe ich Hunger. Im Belgrave House warte ich in der Lobby, fühlt sich alles an, als wäre ich nie weg gewesen. Michał holt mich ab, wir fahren rauf in die Rezeption, ich pappe mir ein Gästeschild auf die Brust, Michał hält die Tür zum Café Royle auf und ich werde nochmals vom dem Gefühl erschlagen, gestern erst wäre meine letzte Woche aus dem letzten Jahr gewesen.
Ich freue mich, soviele Gesichter wieder zu erkennen und von sovielen Leuten selbst wiedererkannt zu werden, trotz Dunbar’s Number. Wir gesellen uns zu ein paar anderen Praktikanten an den Tisch, stoßen an—Michał witzelt, dass ich auch außerhalb der Heimat zu Budvar und Staropramen greife, wo es doch hier soviel Auswahl gibt, dabei trinkt er ein Cooper’s Ale, tzz—und der Abend läuft. Ich treffe zwischendrin die Hälfte meines alten Teams wieder, schwebe auf einer Wolke aus Glückseligkeit.
Als Michał seine Sachen holt, kriege ich noch eine kurze Tour von den zwei neu gestalteten Etagen, in eine davon ziehe ich am Montag ein. Den roten Doppeldeckerbus gibt es noch, ansonsten sieht jetzt alles seeehr futuristisch aus.
Danach treffen wir in der Nähe der Liverpool Street Station noch einen Kumpel von ihm und dessen Kollegen, trinken reichlich Bier, und tauschen uns lustig darüber aus, was die Briten und ze Germans so allgemein unterscheidet und warum wir immer gleich einen Aufstand machen, wenn jemand erklärt, wie groß Hitler war und wo er gewohnt hat. Ich schlafe auf der Heimfahrt zwischen Clapham Junction und Norbury ständig ein, löse zuhause noch kurz im Dusel die Alarmanlage aus—an alle die die Story kennen: diesmal besitze ich tatsächlich den Code!—und falle erschöpft in mein Bett.
Am nächsten Morgen wache ich dann etwas einsam auf. Der Plan ist, in die Stadt zu fahren, so Krams wie einen Handyvertrag zu organisieren und etwas einzukaufen bzw. auch erstmal zu frühstücken. Ist ja wie gesagt nix im Haus.
Der erste Teil klappt so nicht auf Anhieb, zusätzlich zur Kreditkarte brauche ich noch meine eigentlichen Kontodaten, die ich natürlich nicht im Kopf habe. Das Google WLAN reicht nur knapp bis auf die Straße, dafür ist das einer anderen Firma greifbar und ich finde eine alte Mail, in der das Zeug steht. Zweite Hürde, die Adresse die bei meiner Bank vorliegt, muss dieselbe sein, wie die auf die der Vertrag laufen soll. Ist sie aber noch nicht wieder, da man mir ja die letzten Monate dankenswerterweise meine Kontoauszüge immer kostenlos nach Deutschland schickt.
Ich stehe schließlich mit einer Prepaid-Karte wieder auf der Straße, die im Land der nicht bescheuerten Handytarife für £15 auch dralle 300 Minuten, 3000 SMS und all-you-can-eat Internet bietet, für einen Monat. You heard me, die volle Geschwindigkeit durchweg, theoretische Grenze 1000GB im Monat, so muss das sein. I’m looking at you, O2! (Tethering ist zwar nicht erlaubt, habe ich gerade gelesen, aber bisher ist noch keine SMS gekommen, die mir deswegen auf die Finger haut.)
Dann wandere ich noch etwas ziellos unter anderem in den St James’s Park, setze mich auf eine Bank und docke erstmal wieder an der Welt zuhause an, UMTS sei Dank. Ein deutsches Päarchen lässt sich prompt neben mir nieder, diskutiert, ob die grauen Eichhörnchen jetzt böse zu den roten Eichhörnchen sind oder nicht, ich lausche belustigt.
Zurück daheim mache ich mir Nudeln, höre ein bisschen Musik, vertreibe beständig die Einsamkeit und tippe diese Zeilen.
Und bei euch so?